TRANS Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften 17. Nr.
Januar 2010

Lachen und Ernst
Sektionsleiter | Section Chair: Han-Soon Yim (Seoul National University)

Dokumentation | Documentation | Documentation


Nichts zu Lachen in den deutsch-polnischen Beziehungen?

Eine linguistische Fallstudie anhand von Bildern und Texten
aus der deutschen und polnischen Presse der Jahre 2006-2007

Jarochna Dabrowska-Burkhardt (Universität Zielona Gora / Polen)

Email: J-R.Burkhardt@t-online.de

Jarochna Dabrowska-Burkhardt: Nichts zu Lachen in den deutsch-polnischen Beziehungen? Eine linguistische Fallstudie anhand von Bildern und Texten aus der deutschen und polnischen Presse der Jahre 2006-2007

1. Einleitung

Das Lachen gilt als ererbte menschliche Ausdrucksbewegung, die zweifelsohne eine der typischen menschlichen Reaktionen darstellt und zum Repertoire der anthropologischen Universalien gehört. Es gilt als eine der Formen menschlicher  Entlastung. Der Lachvorgang ist allen Kulturen bekannt, wobei seine Auslöser und Formen variantenreich sind. Individuell muss man Beweggründe, die das Lachen veranlassen, unterschiedliche Situationen in denen man lacht und auch divergente soziale Funktionen, die das Lachen ausübt, betrachten. Menschen lachen unterschiedlich: jemand kann z.B. hemmungslos oder verstohlen, höflich oder verletzend, freundlich oder höhnisch, herzhaft oder ängstlich lachen. Genauso vielfältig sind die Themen, die das Lachen auslösen. Die positive Seite dieser Ausdrucksbewegung entdeckte auch die Medizin, weil man schmerzmildernde, stressabbauende, durchblutungsfördernde und immunstärkende Wirkungen des Lachens feststellte. Auf die Psyche übt es ebenfalls einen vorteilhaften Einfluss aus. Der deutsche Maler und Zeichner Friedrich Schröder-Sonnenstern bemerkt dazu: „Lachen ist Gegengift gegen moralische und seelische Fäulnisbazillen und Krankheitserreger, gleichzeitig ein Charakterstärkungsmittel für jedermann“ (Skupy 1997, S. 557).

Es gibt viele geflügelte Worte, die Unterschiedliches zu diesem Thema vermelden. Charles Dickens schreibt, z.B. in seiner Weihnachtsgeschichte, dass in der Welt nichts so ansteckend wie Lachen und gute Laune wirken (vgl. Dickens 1843, S. 53). Andererseits kennt man aber auch die volkstümliche Wahrheit „Des einen Freud ist des anderen Leid“, in der dem Lachen eine polarisierende Wirkung attestiert wird. Die Situationen in denen gelacht wird und was für wen lustig oder ernst ist, sind sehr subjektiv. Diese individuelle Sichtweise in der Wahrnehmung von Humor, Komik, Satire und Ironie spielt auch in der interkulturellen Kommunikation eine wesentliche Rolle. Wann lachen Menschen über nationale Grenzen hinweg und wann wird der Humor transnational missverstanden?

Im folgenden Beitrag werden diese Fragen in der Analyse eines kurzen medialen Diskursausschnitts der deutsch-polnischen Geschichte aufgezeigt. Es soll untersucht werden, welche konkrete Anwendung der Satire zu einer Verstimmung auf der internationalen Ebene in Europa führt und welche Folgen diese Satire für die Diskursentwicklung der beiden Länder hat.

 

2. Was ist Satire? Was darf Satire?

Das Lexem Satire stammt aus dem Lateinischen satira und bedeutet eigentlich „mit verschiedenen Früchten gefüllte Schale“. Es ist eine ironisch–aggressive literarische Form des Komischen, die wegen ihres Formenreichtums keine einheitliche Definition erlaubt. Der wesentliche Aspekt dieser übergreifenden Form besteht in ihrer Abhängigkeit von aktuellen politischen, kulturellen und sozialen Tendenzen. Diese Darstellungsart arbeitet unter anderem mit Ironie, Spott und Übertreibung, um „bestimmte Personen, Anschauungen, Ereignisse  oder Zustände“ zu kritisieren oder verächtlich zu machen (vgl. Brockhaus 1998, 19. Band, S. 164).

Schon in der Antike begleitete Satire ihre Zeitgenossen, wobei sie sich in einzelnen Epochen unterschiedlich gestaltete. Im 19. Jh. ergaben sich z.B. in satirischen Zeitschriften neue Möglichkeiten der Verbindung von Text und Bild, so dass sich dann Karikaturen leicht verbreiten lassen. Im 20. Jahrhundert war die Satire beliebtes Mittel gesellschaftskritischer und vor allem politischer Dichtung. Eine an dieser Stelle erwähnenswerte Satire verfasste 1822 Christian Dietrich Grabbe in Form eines Lustspiels unter dem Titel: „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“. Grabbe verwendet neben den im Titel angeführten Mitteln auch Komik, Witz, Humor und Sarkasmus, denen er tiefere Bedeutung attestiert. Mit diesen Mitteln lassen sich nämlich Weltanschauungen zerstören oder auch die in der Welt geltenden Werte als bloße Scheinwerte entlarven. (vgl. Grabbe, Nachwort von Bergmann 1970, S. 82). Ein Jahrhundert später sah Kurt Tucholsky in der Satire eine durchaus positive Sache. Sie „beißt, lacht, pfeift und trommelt die große bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist. […] Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den“ (Wrobel 1919). Satire ist also keine einfache Darstellungsform, die für jeden Autor geeignet wäre. Genauso schwer wie das Verfassen einer guten Satire, fällt es den Betroffenen souverän mit ihr umzugehen. Einerseits, wenn man die Größe hat über sich selbst zu lachen, kann sie befreiend wirken, andererseits aber wenn sie jemanden am Boden zerstört und in der Öffentlichkeit diskreditiert, kann sie für den Leidtragenden tödlich sein (vgl. Krzemiński, taz, 6.07.2006, S. 3). In diesem Sinne folgt man weiterhin Tucholsky, wo zu lesen ist: „Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint. Was darf Satire? Alles.“ (Wrobel, 1919) Ob diese Frage so selbstverständlich wie von Kurt Tucholsky auch in der heutigen Gesellschaft beantwortet wird, soll im folgenden Beitrag präsentiert werden.

 

3. Untersuchungsgegenstand und Untersuchungskorpus

Der Gegenstand folgender Untersuchung ist ein Ausschnitt des transnationalen deutsch-polnischen medialen Diskurses, der nach der Veröffentlichung eines satirischen Artikels in der deutschen „tageszeitung“ (taz) am 26.06.2006 diese Diskursführung wesentlich beeinflusst.

Zum einen soll herausgefunden werden, auf welche Art und Weise sich die deutsch-polnische Debatte, wegen eines satirischen Artikels so hoch geschaukelt hat, dass man von einer echten Krise in den nachbarschaftlichen Beziehungen spricht. Zum anderen soll ermittelt werden, welche Punkte des transnationalen Diskurses als besonders brisant medial hervorgehoben werden und mit welchen sprachlichen Mitteln sie zum Ausdruck gebracht werden. Das Untersuchungskorpus bilden Presseorgane beider Länder. Man war in beiden Ländern bemüht solche Zeitungen auszuwählen, die als Zeitungsäquivalente in Deutschland und Polen gelten können. „Die Frankfurter Allgemeine. Zeitung für Deutschland.“ (FAZ)  ähnlich wie „Rzeczpospolita“ (RZ) gehören in ihren Ländern zu den wichtigsten überregionalen Blättern, die zahlreiche Beiträge zum Thema Wirtschaft und Politik veröffentlichen. Unter Juristen gelten sie als inoffizielle Pflichtblätter, weil sie tagesaktuell über rechtliche Themen berichten. Ihre politische Linie ist gemäßigt konservativ bzw. liberal konservativ. Die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) gilt als liberal-kritisches Medium, „Gazeta Wyborcza“ (GW) wird mit dem Adjektiv liberal versehen. Beide Zeitungen gehören zu den wichtigsten meinungsbildenden Organen in ihren Ländern. Die „tageszeitung“ (taz) gilt als eine linksalternative Zeitung, die den Grünen, Linksliberalen und linken Sozialdemokraten  nahe steht. In der polnischen Presselandschaft ist das Tagesblatt „Trybuna“ (T) die wichtigste Zeitung mit einer linkspolitischen Ausrichtung.  In diesem Zusammenhang gilt es aber zu betonen, dass es unter den polnischen Zeitungen kein Äquivalent für die „taz“ gibt und als linkes Blatt nur die „Trybuna“ in Frage kommt.

Die Untersuchungszäsur beträgt einen Monat, sie beginnt am 20. Juni und endet am 20. Juli 2006. In dieser Zeit findet in den Medien beider Staaten eine lebhafte Debatte zum deutsch-polnischen Verhältnis statt, die wesentlich vom satirischen Artikel der „tageszeitung“ beeinflusst wird.

 

4. Zur „taz“-Satire

Der satirische Artikel vom Redakteur der „taz“ Peter Köhler, der den polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczyński karikiert, erscheint am Montag dem 26. Juni 2006 in der „taz“ auf der letzten, satirischen Seite (S. 16) des Blattes. Die Seite heißt „die wahrheit“. Man kann annehmen, dass die Artikelplatzierung  „Polens neue Kartoffel. Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Łech „Katsche“ Kaczyński” nicht zufällig ist, sondern den Betroffenen bloßstellen sollte.

Die Beschäftigung mit einem prominenten Politiker bildet in dieser Spalte keine Ausnahme. Deutsche Politiker werden hier auch nicht verschont und ähnlich durch den Kakao gezogen. Die Leser bekommen z.B. Texte über Jürgen Trittin (taz, 26.07.2004), Ulla Schmidt (taz, 15.03.2006), Renate Künast (taz, 19.04.2004) oder Angela Merkel (taz, 8.06.2005) als Lektüre.

4.1. Gipfel des Weimarer-Dreiecks

Am 2. Juli 2006 meldet sich die polnische Präsidialkanzlei zu Wort und sagt völlig überraschend den seit einem halben Jahr für den Folgetag geplanten Besuch des Staatspräsidenten Polens in Deutschland ab. Das Staatsoberhaupt Lech Kaczyński sollte sich zum Gipfel des Weimarer Dreiecks mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac treffen. Als Grund dieser Absage wird eine Krankheit des polnischen Staatsoberhauptes genannt. Die ersten Pressekommentare zu diesem Thema erscheinen in beiden Ländern am 4. Juli 2006. In der deutschen Berichterstattung findet man dann folgende Kommentare:

  1. […] skandalöse Absage des polnischen Präsidenten Lech Kaczyński, der das für  gestern anberaumte Treffen des „Weimarer Dreiecks“ zwischen Jacques Chirac, Angela Merkel und ihm selbst offenbar für überflüssig hielt und sich deshalb „wegen Krankheit“ entschuldigen ließ. Kaczyński hat sich so oft abfällig über die EU geäußert, dass man  an seine Krankheit nicht recht glauben kann. (SZ, 4.07.2006, S. 11)
  2. Hintergrund der kurzfristigen Absage sei eine „vorübergehende Unpässlichkeit“ Kaczyńskis, die unglücklicherweise mit dem Treffen in Weimar zusammengefallen sei, sagte der außenpolitische Berater des polnischen Präsidenten […] Die Vermutungen über anderweitige Gründe für die Absage Kaczyńskis rührten unter anderem daher, dass er im Februar den Nutzen des „Weimarer Dreiecks“ in Frage gestellt hatte. (SZ, 4. 07.2006, S. 5)
  3. Der polnische Präsident, der an einer Erkrankung des Magen-Darm-Traktes  leidet, hoffe, dass er in zwei bis drei Tagen wieder die Amtsgeschäfte aufnehmen könne, sagte ein Sprecher. […] Der polnische Staatspräsident Kaczyński hatte Anfang des Jahres den Sinn und Zweck des Dreiecks in Frage gestellt, da es bislang keine konkreten Resultate erbracht hatte. (FAZ, 4.07.2006, S. 5)

Polnische Presse schreibt zu diesem Thema folgendermaßen:

    1. Zum Treffen kam es nicht. Am Sonntagnachmittag stellte der Präsident Lech Kaczyński fest, dass er am [Treffen] nicht teilnimmt. Ursache? Krankheit und konkret „funktionelle Speiseröhrenstörungen“ – wie der Regierungssprecher Maciej Łopiński erklärt. Nicht alle aber schenken einer solchen Erklärung Glauben. Das Außerministerium kennt nur ein Thema –  die für den polnischen Präsidenten und seinen Bruder beleidigende Veröffentlichung in einem deutschen Blatt „tageszeitung“. Ist etwa der Text der vergangenen Woche der wirkliche Grund der Absage des Gipfeltreffens? (RZ, 4.07.2006, S. 1).
    2. Die offizielle Ursache des Verzichts von Kaczyński an der Teilnahme am Gipfel ist eine Krankheit. So wie gestern der Regierungssprecher Maciej Łopiński versicherte, handelt es sich um  funktionelle Speiseröhrenstörungen. Eine wirkliche Krankheit ist äußerst selten die Ursache für die Absage von wichtigen Treffen. Deswegen erschien in den Regierungskreisen, eine andere, wenn auch inoffizielle Erklärung der plötzlichen Absenz des Präsidenten. […] Von ein paar hohen Beamten im Außenministerium haben wir erfahren, dass es sich möglicherweise um einen Artikel handelt, der letzte Woche auf den satirischen Seiten des Blattes „tageszeitung“ veröffentlicht wurde. (RZ, 4.07.2006, S, 3)
    3. Deutsche Krankheit. Warum ist der Präsident nicht nach Deutschland zum Gipfeltreffen in  Weimar gefahren? Wurde sein Gesundheitszustand durch einen Artikel aus der „tageszeitung“ beeinflusst? (GW, 4.07.2006, S. 2)

Den analysierten Texten lässt sich entnehmen, dass in beiden Ländern die Krankheit des polnischen Staatspräsidenten in Frage gestellt wird. Nicht desto trotz unterscheiden sich beide Beleggruppen deutlich, weil die Gründe für die Absage anders lokalisiert werden. In Deutschland wird für die Absage des polnischen Präsidenten seine Skepsis und Misstrauen der Idee des Weimarer-Dreiecks gegenüber verantwortlich gemacht. In Polen spekuliert man über einen anderen Absagengrund und tippt auf die „taz-Satire“. Es wird angenommen, dass der Staatspräsident und die polnische Regierung auf den Artikel in der deutschen Zeitung beleidigt und verärgert reagiert haben. In der polnischen Presse werden offizielle Aussagen der Regierung den nichtamtlichen Gerüchten gegenübergestellt, wodurch auch Zweifel an der Erklärung des Präsidentensprechers gehegt werden.

4.2. „taz-Satire“ wird zur Staatsaffäre

Da sich polnische Regierungsmitglieder über den satirischen taz-Artikel äußern, wird dem Text automatisch eine besondere Relevanz zugeschrieben. Die Stellungnahme der Regierung zu einer Satire aus dem Nachbarland, die in einer überregionalen deutschen Zeitung veröffentlicht wird, die jedoch nicht zu den Marktführern gehört, ist ein unüblicher Kasus.

Die deutsche Presse ist über die Reaktionen seitens der Regierungsmitglieder verblüfft und berichtet auf folgende Art und Weise:

  1. Niemand hätte die Spekulationen in der Presse sonderlich ernst genommen, wenn nicht die wichtigsten Politiker in Warschau dazu Stellung genommen hätten. […] dann nahm immerhin Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz ganz überraschend Stellung zu dem Text der taz. Dieser sei „verletzend“. (SZ, 6.07.2006, S. 6)
  2. „Das kann  so nicht stehen bleiben“, klagte etwa Premier Marcinkiewicz im polnischen Fernsehen. Der taz-Artikel sei ordinär und beleidigend für das polnische Staatsoberhaupt. „Es ist kaum vorstellbar, dass in Polen sich jemand erlauben würde, so über ein Staatsoberhaupt herzuziehen.“ Die polnische Botschaft in Berlin habe bereits interveniert. „Es muss eine Reaktion geben!“, so Marcinkiewicz. Außenministerin Anna Fotyga nannte es „beunruhigend und sehr enttäuschend“, dass eine Reaktion der deutschen Behörden auf den Artikel völlig ausgeblieben sei. […] Der Staatssekretär der Präsidialkanzlei Krawczyk trat wegen des Satireartikels in der taz sogar in „Kontakt mit Personen im engsten Umfeld der Kanzlerin Merkel“. Die Präsidialkanzlei habe ihre Empörung über den geschmacklosen Artikel ausgedrückt und erwarte nun von der deutschen Seite „Kritik, Mitgefühl und Ablehnung solcher Publikationen über den Präsidenten eines mit Deutschland befreundeten Staates“. (taz, 5.07.2006, S. 2)
  3. Anna Fotyga hatte Berlin […] aufgefordert, diesen „beispiellosen Angriff auf ein Staatsoberhaupt“ öffentlich zu bedauern. Der Berliner Regierungssprecher Ulrich Wilhelm hatte aber klargemacht, dass die Bundesregierung grundsätzlich keine Medienberichte über ausländische Politiker kommentiere. (SZ, 11.07.2006, S. 1)

Die polnische Presse berichtet über die Stellungnahme der Regierung folgendermaßen:

  1. – Natürlich ist  der Artikel nicht die Ursache für die Absage des Besuchs, aber er war Veranlassung für eine starke Verärgerung des Präsidenten. Das ist ein empörender Artikel – hat uns Minister Andrzej Krawczyk gesagt. Krawczyk meint, dass die polnische Seite jetzt ganz genau die Reaktionen in Deutschland beobachten wird. – Jemand soll zu diesem Text Stellung beziehen. (GW, 4.07.2006, S. 2)
  2. Es ist nicht ausgeschlossen, dass den Präsidenten die Tatsache empfindlich berührte, dass die deutsche Regierung in keinerlei Weise auf diese beleidigende Publikation reagiert hatte, ja sich nicht einmal darauf bezog – haben wir im Außenministerium gehört. (RZ, 4.07.2006, S, 3)
  3.  [Die] polnische Regierung hat angefangen offiziell über den Text aus der deutschen „tageszeitung“ zu sprechen. Die Leiterin des Außenministeriums Anna Fotyga und Andrzej Krawczyk erklärten, dass die deutsche Regierung auf die Veröffentlichung in irgendeiner Weise reagieren solle. Krawczyk fügte hinzu, dass der polnische Standpunkt der deutschen Seite schon übermittelt wurde. – Ich bin im Kontakt mit Personen aus dem Umfeld der Kanzlerin Merkel. Wir haben unseren Standpunkt und die Reaktion auf diesen Text übermittelt: Befremden, Empörung und Missfallen – sagte Krawczyk. Wir erwarten irgendeine Kritik, mitfühlende Worte, Ausdruck der Nichtübereinstimmung auf solche Veröffentlichungen über das Oberhaupt eines mit Deutschland befreundeten Staates. (RZ, 5.07.2006, S. 3)

Die analysierten Texte bedienen sich des Bildes eines beleidigten Präsidenten, der auf die offizielle, „kritische und  mitfühlende“ Stellungnahme Deutschlands wartet. Die angeführten Belege machen deutlich, dass die in der „taz“ veröffentlichte Satire zu einer großen Aufregung seitens der polnischen Regierungsmitglieder führt. Der Text wird „empörend“ und „beleidigend“ genannt. Der Kasus entwickelt sich deswegen zur Staatsaffäre, weil die polnische Regierung nicht nur den Redakteur der „taz“ kritisiert, sondern auch „irgendwelche Kritik, Mitgefühl, Ablehnung solcher Publikationen über das Oberhaupt eines mit Deutschland befreundeten Staates“ erwartet (GW, 5.07.2006, S. 3). Trotz dieser polnischen Forderung, entzieht sich die deutsche Seite jeglichen Kommentars (taz, 5.07.2006, S. 2). Diese Diskrepanz führt zu einem, in der Presse beider Länder, konstatierten Konflikt nach dem Motto „Krise zwischen Warschau und Berlin“  (SZ, 11.07.2006, S.1).

4.3. Innenpolitische Meinungsverschiedenheiten

Die „Kartoffelaffäre“, auch „Kartoffelgate“ genannt, verursacht in Polen große innenpolitische Kontroversen. Alle ehemaligen polnischen Außenminister kritisieren scharf die Absage des Weimarer-Gipfeltreffens seitens des polnischen Staatspräsidenten. Sie geben eine gemeinsame Erklärung heraus, die in der Presse beider Länder eine breite Berichterstattung findet.

Die deutsche Presse kommentiert dieses Vorkommnis wie folgt:

  1. Acht ehemalige polnische Außenminister aus der Zeit nach dem Sturz des Kommunismus veröffentlichten am Donnerstag einen Brief, in welchem sie feststellten, eine Absage „ohne wichtigen und glaubwürdigen Grund“ sei kränkend für Polens Partner. (FAZ, 7.07.2006, S. 5)
  2. In einem beispiellosen Schritt haben alle acht polnischen Außenminister seit der Wende 1989 Staatspräsident Lech Kaczyński  wegen der Absage seiner Teilnahme am Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac kritisiert. […] Die früheren Minister unter ihnen Bronisław Geremek und Władysław Bartoszewski schrieben, die Absage eines solch wichtigen Treffens, auf dem auch Fragen der Energieversorgung hätten diskutiert werden sollen, „ohne triftigen Grund”, bedeute die „Missachtung der Partner” und sei daher „beunruhigend”. (SZ, 8./9.07.2006, S. 6)  

Die polnische Presse berichtet auch darüber:

  1. Zum ersten Mal bezogen die ehemaligen Diplomatiechefs, die verschiedenen politischen Lagern entstammen, eine gemeinsame Position. „Mit Unruhe und  großem Erstaunen haben wir die Absage des Weimarer-Dreieck-Gipfeltreffens aufgenommen […] Die Absage des Gipfeltreffens ohne einen sehr wichtigen Grund wirkt für die Partner geringschätzig“. (trybuna on-line, 6.07.2006)
  2. Alle polnischen Außenminister […] gaben gestern eine öffentliche Erklärung ab, in der sie die Weimarer-Dreieck-Gipfeltreffenabsage kritisieren. Ihrer Meinung nach ist die Absage der Teilnahme am Gipfelreffen der Chefs des Weimarer Dreiecks ohne Angabe einer wesentlichen glaubwürdigen Ursache unseren Partnern gegenüber geringschätzig. (GW, 6.07.2006, S. 1)

Der Präsident Kaczyński reagiert verärgert und kritisiert scharf die Autoren des Briefs, denen er „Mangel an elementarer nationaler und menschlicher Solidarität“ vorwirft (GW, 8./9.07.2008, S. 3). Die Reaktion der polnischen Regierung wird in den analysierten Zeitungen als „unverhältnismäßig“ eingestuft.

Deutsche Presse

  1. Vordergründig liegt der Fehler darin, dass die Warschauer Präsidialkanzlei aus einer Mücke, die eigentlich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle jeder Regierung liegen sollte, einen Elefanten gemacht hat. (FAZ, 7.07.2006, S. 10)
  2. Die Satire der „taz“ kommentierte er [Władysław Bartoszewski – ein ehemaliger Außenminister] mit den Worten, ein „dummer Text“ wie dieser dürfe nicht zur Staatsaffäre werden: „Wenn sich ein Betrunkener in der Straßenbahn auf meinen Rock erbricht, ist das doch auch kein politisches Problem.“ (FAZ, 8.07.2006, S. 1)
  3. Der frühere Außenminister Władysław Bartoszewski befand kühl: „Ein Politiker soll das tun, was für sein Land wichtig ist. Zeitungsartikel können in einem Land, das ernst genommen werden will, kein entscheidender Faktor sein.“ (SZ, 6.07.2006, S. 6)

In der polnischen Presse herrscht ein ähnlicher, kritischer Tenor:

  1. Der Präsident hat schon gezeigt, dass ein beleidigtes Familienteil eine internationale Angelegenheit ist. Das ist wichtiger als die Interessen Polens in der Welt zu vertreten. Wenn jetzt jemand ein Mitglied der Familie Kaczyński verletzt, wird der Kampf nicht nur vom Präsidenten, sondern auch vom Ministerpräsidenten geführt. Zittert ihr Spötter! (GW, 10.07.2006, S. 19).
  2. Bisher haben unsere wichtigsten Politiker nicht bedacht, dass es nicht lohnt, sich mit einem Blödsinn zu beschäftigen, weil man ihn auf diese Art und Weise ausschließlich aufwertet. Sie haben etwas zur Staatsangelegenheit erklärt, was gar keine Bedeutung hat und schon gar keine staatliche. (GW, 10.07.2006, S. 21)
  3. Ganz im Ernst, die Reaktion auf die plumpen Witze einer deutschen Zeitung war in der Tat unverhältnismäßig zu den Begebenheiten, und die Reaktion europäischer Zeitungen, die zuerst mit Misstrauen das gewagte Grollen Warschaus hörten und es später beschrieben, ist das beste Beispiel dafür. Zweifellos verlieren alle durch den Mangel an Humor unserer Führung, was mit Sicherheit nicht lustig ist. (GW, 10.07.2006, S. 21)

4.4.  Die Sprache der „tageszeitung“ = die Sprache des „Stürmers“

Von den polnischen Politikern, die der „tageszeitung“ Nähe zum nationalsozialistischen Hetzblatt „Der Stürmer“ vorwerfen, wird Öl ins Feuer gegossen. Diese antisemitische Wochenzeitung entstand im Jahre 1923 in Nürnberg auf Initiative von Julius Streicher, einem der radikalsten Antisemiten, wurde bis zum Jahre 1945 herausgegeben und bediente sich rechtsradikaler Sprache. Julius Streicher wurde für seine Verbrechen  gegen die Menschlichkeit in den Nürnbergern Prozessen zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der Vergleich der „taz“ mit dem „Stürmer“, den die polnischen Staatsmänner ziehen, erweckt viele Emotionen auf beiden Seiten der Oder. Besonders viel Platz widmet diesem Thema die deutsche Presse. Den polnischen Politikern werden Wissensmangel, Ahnungslosigkeit und  Ignoranz attestiert. Zu berücksichtigen ist, dass diese Kritik nicht nur seitens der deutschen Presse sondern auch seitens der polnischen Opposition kommt. Auch die Bezeichnungsverwechslung im Falle des „Stürmers“ mit einem unbekannten „Steiner“ von einem führenden Politiker der polnischen Regierungspartei vermittelt nicht den Eindruck eines profunden Wissens und seriöser Beschäftigung mit dem Thema.

In der deutschen Presse melden sich irritierte Journalisten zu Wort:

  1. Und wenn die unerfahrene Außenministerin Anna Fotyga die „taz“, die sich als Speerspitze gegen Alt- und Neonazis sieht, mit dem NS-Hetzblatt „Der Stürmer“ vergleicht, so ist dies ebenso ignorant wie skandalös. (SZ, 6.07.2006, S. 4)
  2. Der Chef der polnischen Präsidialkanzlei, Maciej Łopiński, wirft der linksalternativen „tageszeitung” wegen eines satirischen Textes über Präsident Kaczyński vor, sie folge der „Poetik“ des nationalsozialistischen Propagandablattes „Der Stürmer“ aus den dreißiger Jahren. Auf der Webseite des Präsidenten wurde am Donnerstag der entsprechende Auszug aus einem Fernsehinterview Łopińskis veröffentlicht und mit dem Faksimile eines Titelblattes des „Stürmers“ samt seinem Motto „Die Juden sind unser Unglück“ illustriert. „Das ist die Verbindung von blauäugigen Deutschen auf der einen und polnischen Kartoffeln auf der anderen Seite“, sagte Łopiński. In dem Text ist von den „blauen Augen und Ohren“ der Deutschen die Rede, die diese sich beim Anblick des polnischen Präsidenten verdutzt rieben. […] Der Kanzleichef des Präsidenten erkannte darin [im taz-Artikel]  einen „Zustand der deutschen Seele“, der „sehr beunruhigend“ sei. (FAZ, 7.07.2006, S. 5).
  3. Der Text [taz-Satire] sei in der Sprache des NS-Organs „Der Steiner“ geschrieben. Die Warschauer Presse spießte genüsslich auf, dass die stets auf ihr Geschichtsbewusstsein pochenden PiS-ler offenbar nicht wussten, dass das Nazi-Hetzblatt „Der Stürmer“ hieß. (SZ, 8./9.07.2006, S. 17)

Die polnische Presse berichtet darüber wie folgt:

  1. Eine solche Verbindung von Schamlosigkeiten mit dem politischen Bereich muss Assoziationen an die Sprache erwecken, die vom „Stürmer“ verwendet wurde, sagte Ministerin Fotyga. (GW, 5.07.2006, S. 3)
  2. Die Chefin des polnischen Außenministeriums verglich uns [die „taz“] mit dem nationalsozialistischen „Stürmer“. Wir werden wegen antipolnischer Einstellung angeklagt. Das sind harte Worte. Wenn man Diplomatiechefin ist, muss man zuerst denken, bevor man etwas sagt. Wenn man nicht weiß, was für eine Zeitung die „tageszeitung“ ist und was für eine der „Stürmer“ war, ist es besser nicht nach solchen historischen Vergleichen  zu greifen. (trybuna on-line, 7.07.2006)
  3. Thomas Urban, Korrespondent der „Süddeutschen  Zeitung“, kritisierte die Aussage der „unerfahrenen Außenministerin Anna Fotyga“, in der sie die „taz“ mit der Hetzzeitung „Der Stürmer“ vergleicht, weil die erstgenannte einen rücksichtslosen Kampf gegen Alt- und Neonazis führt. Dieser Vergleich ist skandalös und zeugt von Ignoranz schreibt der Autor. (RZ, 7.07.2006, S. 3)

 4.5. Drohungen mit Strafverfahren

Die Art und Weise wie über den polnischen Präsidenten in der taz-Satire geschrieben wurde,  soll nach Auffassung der regierenden Parlamentsfraktion PiS („Recht und Gerechtigkeit“) wieder gutgemacht werden. Der taz-Autor soll für seine Tat bestraft werden. Sowohl in Polen (GW, 7.07.2006, S. 3) als auch in Deutschland (taz 8.07.2006, S. 2) wird der an den polnischen Justizminister gestellte Antrag zitiert. Peter Köhler hat „sich der Straftat der Beleidigung oder Erniedrigung des Präsidenten der Republik Polen […] schuldig gemacht, indem er den Präsidenten als Dieb bezeichnete sowie ihm Eigenschaften und Verhaltensmerkmale zuschrieb, die im Lichte kulturell und allgemein anerkannter Werte als tadelnswert und unstatthaft gelten“ […]. (taz, Assoziationen an eine sehr ungute Zeit, 8.07.2006, S. 2)

Der im Antrag besonders hervorgehobene Vorwurf der Herabwürdigung des Präsidenten wird dadurch begründet, dass „schon durch die alleinige Formulierung des Titels dem Präsidenten der Republik Polen das Begehen einer Straftat des Diebstahls zugeschrieben wurde, was zweifellos auf eine bewusste Verunglimpfung des Herrn Präsidenten […] hinweist“ (GW, Próba zaprzeczenia inteligencji Pana Prezydenta, 7.07.2006, S. 3). In der Antragsbegründung wird noch auf Formulierungen eingegangen, dass „man schon früher wusste, dass der Präsident der Republik Polen keinem deutschen Politiker auch nur den nackten Fingernagel reichen würde“ oder auch auf die Beurteilung der Intelligenz des Herrn Präsidenten durch das Zitat: “Der Mond ist ihm näher als Deutsch- und Russland“. (GW, Próba zaprzeczenia inteligencji Pana Prezydenta, 7.07.2006, S. 3).

In der Presse beider Länder findet man z.B. folgende Belege:

  1. Recht und Gerechtigkeit (PiS) will, dass der Generalstaatsanwalt prüft, ob die deutsche Zeitung eine Straftat begangen hat. [...] Der Vorsitzende der Parlamentsfraktion PiS [...] stellte einen Antrag an den Generalstaatsanwalt mit der Bitte zu prüfen, ob der Artikel das Staatsoberhaupt nicht verunglimpft hatte. (GW, 7.07.2006, S. 3)
  2. Jarosław Kaczyński beharrte in dem Interview [für die Zeitung „Wprost“] darauf, dass es sich bei der Satire um die „Beleidigung eines Staatsoberhauptes“ handle und dies ein Verbrechen sei. Warschau müsse also darauf reagieren. (SZ, 11.07.2006, S. 1)
  3. In Kaczyńskis Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), wird unterdessen angeregt, den Autor der taz-Satire ins Gefängnis zu bringen. Der Fraktionsvorsitzende im Parlament, Gosiewski, wies am Wochenende darauf hin, dass die Beleidigung des Staatsoberhauptes in Polen mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werde. Gegen den Täter könne ein europäischer Haftbefehl erwirkt werden. (FAZ, 11.07.2006, S. 1)
  4. Was nun wird Kaczyński tun, wenn aus Berlin keine Entschuldigung kommt? Denn selbstverständlich ist es nicht Sache einer Regierung, Satiren zu bewerten. Wird Warschau die Auslieferung des Verfassers der Satire fordern, der nach Kaczyńskis Worten ein Verbrechen begangen hat? (SZ, 11.07.2006, S. 4).
  5. Polens Regierung will ein Exempel statuieren. Ein Deutscher soll hinter polnische Gitter, weil er Präsident Lech Kaczyński in einer Satire mit einer Kartoffel verglichen hat. Tatsächlich könnte der „Kartoffelfall“ bald ganz Europa in Atem halten. […] Beim internationalen Haftbefehl besteht für Polen das Risiko, dass der Antrag zurückgewiesen werden könnte, da Interpol laut Artikel 3 der Interpol-Constitution keine politischen Straftaten zur Fahndung ausschreibt. (taz, Kartoffel-Satire – ein Fall für Interpol?, 17.07.2006, S. 10)

4.6. Konkrete Folgen der taz-Satire

In der Presse beider Länder wird auch von konkreten Folgen der taz-Satire berichtet. Zu diesen gehört z.B. die Sperrung der Internetseite des Außenministeriums auf der die Satire wiedergegeben wurde. Die Presseschau des polnischen Außenministeriums wurde blockiert. Der taz-Artikel wurde schnell entfernt. Der Direktor des Informationsdepartements des Außenministeriums Paweł Dobrowolski ist ein konkretes  „`Opfer´ des taz-Textes“. Er hat seinen Posten verloren und wurde entlassen. 

Der Sprecher des Außenministeriums wollte nicht sagen, was diese Entlassung verursachte. Eine alte Devise des Außenministeriums lautet, personelle Angelegenheiten nicht zu kommentieren. (GW, Niemiecka choroba, 4.07.2006, S. 2)

Nicht zuletzt wurde Ende Juli 2006 eine neue Stelle im polnischen Außenministerium geschaffen, die sich auf die Beobachtung der Imagebildung Polens in der Welt konzentriert:  

Neben dem lautstarken Protest, der inzwischen auch internationale Wellen schlägt, soll nun eine neue Abteilung im polnischen Außenministerium darauf achten, dass das Bild Polens im Ausland ein positives ist. Wie diese Abteilung demnächst verhindern will, dass satirische oder kritische Beiträge über Polen in ausländischen Medien erscheinen, ist noch nicht klar. (taz, Großes Beleidigtsein, 8.07.2006, S. 2)

4.7. Diplomatische Entgleisungsursachen

Untersucht man die Art und Weise der vorgeführten Debatte, will man auch ermitteln, wie ein derartiger Vorfall in den deutsch-polnischen Beziehungen überhaupt zustande kommen konnte.

Die einfachste Erklärung und der nahe liegende Grund hierfür wäre der mangelnde Humor polnischer Politiker. Im Sinne einer Aussage aus „Gazeta Wyborcza“:

Wenn sich jemand anderer über uns lustig machen möchte! Nicht zu denken. […] Witze machen wir  –  und sie werden nicht über uns gemacht. (GW, 10.07.2006, S. 21)

Die Ursache für die präsentierte Empörung und Eskalation strittiger Fragen lässt sich jedoch mit mangelndem Humor schwer erklären. Die Presse sieht den Grund hierfür darin, dass man  in Polen den Text nicht als Satire erkannt hat:

  1. Wenn man den Artikel in der „tageszeitung” als Satire empfunden hätte, gäbe es kein Problem. Dagegen hat man diesen Artikel als einen politischen Text behandelt. (GW, 7.07.2006, S. 13)
  2. Der Text wurde vom Sprachdienst des Außenamtes in Warschau übersetzt und in Auszügen unter die Rubrik „Die Auslandspresse über Polen“ in eine Reihe mit ernsthaften Kommentaren und Analysen gestellt. (SZ, 6.07.2006, S. 6)

Ganz eindeutig lässt sich das aber nicht feststellen, weil man auch folgende Belege findet:

Er [Łopiński - Präsidentensprecher] sagte, dass ihm bewusst ist, dass die Spalte einen satirischen Charakter hätte, aber keiner dieser Texte ist so extrem ekelhaft wie der Artikel über Lech Kaczyński gewesen. (GW, 7.07.2006, S. 3)

Eine mit dem Nichterkennen der Satire direkt verbundene Ursache soll die fehlerhafte Artikelübersetzung aus dem Deutschen ins Polnische sein. Darüber referiert der nächste  Beleg:

Da sie [Außenministerin Polens] kein Deutsch spricht, muss sie sich auf die Übersetzung aus der polnischen Botschaft in Berlin verlassen oder auf die, die die liberale „Gazeta Wyborcza“ publiziert hat. Beide Übersetzungen haben aus dem ursprünglichen Satiretext einen trockenen Artikel gemacht, der dem Stereotyp des „typisch Deutschen“ in Polen entspricht: humorlos und arrogant. […] Die misslungene Übersetzung des taz-Artikels in polnischen Zeitungen und Pressespiegeln unterschlägt jede Ironie, den politischen und den sprachlichen Witz von dem das Genre lebt. Satire arbeitet sich an Machtverhältnissen und den Mächtigen ab, reizt Grenzen des politisch Zumutbaren und des guten Geschmacks aus, setzt sprachlich auf Risiko und provoziert bewusst Ärger. (taz, 6.07.2006, S. 3)

4.8. Stereotype in den deutsch-polnischen Beziehungen

Versucht man die kritischen Punkte der präsentierten Debatte zu rekapitulieren, landet man im Bereich  der Stereotypenforschung. Die besonders problematischen Punkte der Diskussion betreffen nämlich zwei stereotype Ansichten über die jeweils andere Gruppe.

In Polen  entzündet sich eine heftige Diskussion an dem Lexem „Schurke“, das ins Polnische als „Dieb“ übersetzt wurde, und den polnischen Präsidenten einer kriminellen Lebensweise bezichtigte. Dieser Punkt spielt auch eine führende Rolle in dem Antrag der Parlamentsfraktion PiS (siehe 4.5) zur Bestrafung des deutschen Artikelautors.

Die größte Empörung erweckt dagegen in Deutschland der Vergleich der „tageszeitung“ mit dem „Stürmer“. In beiden Fällen sind die beiden Aussagen äußerst unangenehm, tangieren negativ, stimmen ablehnend und haben fehlgeschlagen.

Warum kommt es zu solchen Übersetzungsfehlern? Potentiell wäre es möglich, dass man es an dieser Stelle mit dem deutschen Heterostereotyp über Polen zu tun hat, welches den Polen wohl bekannt ist und viele Emotionen weckt. Als Beispiel soll auf eine Karikatur hingewiesen werden, die als bildliche Form der Satire, an das stereotype Wissen der Adressaten appelliert. Sie erschien in der Wochenzeitschrift  „Der Stern“ und wurde ein Jahr nach der hier vorgestellten Debatte, am 28. Juni 2007 veröffentlicht. Die Karikatur wird als Pointe zum Brüsseler EU-Gipfeltreffen dargestellt, an dem alle EU-Länder beteiligt waren und wo ein neuer Abstimmungsmodus in der EU festgelegt wurde.

Auf der Zeichnung sieht man einen deutschen Mercedes, der den Weg Richtung Warschau fährt. Die Insassen kann man zwar kaum wahrnehmen, weil sie wegen der kleinen Größe nicht richtig auf die Sitze passen, aber umso deutlicher sind die Informationen, die aus den Sprechblasen kommen. Sie lassen keinen Zweifel daran, mit wem es die Rezipienten als Fahrer und Beifahrer zu tun haben. Die beiden Menschen sprechen sich Lech und Jarosław an, fahren mit einem Mercedes, der aufgebrochen wurde, an dem Auto sieht man eine zerschlagene Scheibe. Vorne am Fahrzeug mit Diplomatenkennzeichen hängen zwei Fahnen eine deutsche und eine europäische. Es wird suggeriert, dass nicht einmal die Zeit dafür gereicht hat, die Fahnen umzutauschen. Der Beifahrer lobt die Geschicklichkeit des Fahrers, der innerhalb von 30 Sekunden den Wagen kurzschloss. Als  Entgegnung bekommt er die Aussage: „Reine Routine“, die klar macht, das es sich hier nicht um die erste Episode in diesem Stil handelt. Zu berücksichtigen ist an dieser Stelle noch die Unterschrift des Bildes die lautet „Der Brüsseler EU-Gipfel hat sich für die Polen gelohnt“.

Die polnische Regierung schlägt wiederum im Feuer des Gefechts mit der Nazikeule zurück und reaktiviert traumatische geschichtliche Ereignisse des 20. Jahrhunderts, die in diesem Zusammenhang in Deutschland nicht verstanden werden können. Der unglückliche Vergleich der „taz“,  mit dem „Stürmer“ belebt das Stereotyp „Deutsche sind Nazis“, das als Heterostereotyp der Polen im analysierten Korpus thematisiert wird.

 

5. Vergleich Karikaturenstreit – Satirestreit

Die mediale, emotionsgeladene Debatte um den satirischen Text in Deutschland und Polen leitet aufs Neue zu der Frage nach den Grenzen der Satire und nach der Pressefreiheit. In den analysierten Artikeln fällt auf, dass die Journalisten in beiden Ländern einen Vergleich zwischen dem deutsch-polnischen Konflikt und dem sog. Karikaturenstreit, wegen der Mohammed-Karikaturen, die in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ im September 2005 veröffentlicht wurden, entdecken. In der FAZ kann man am 12.07.2006 lesen:

In ihrer Absurdität erinnert die nach der „taz“-Veröffentlichung ausgebrochene polnische Regierungskrise an die Reaktionen der muslimischen Welt auf die dänischen Mohammed-Karikaturen. […] Beobachter der deutsch-polnischen Beziehungen haben schon vor einiger Zeit festgestellt, dass die innenpolitischen Auseinandersetzungen in Polen Züge eines Kulturkampfs tragen. Insofern ist der Vergleich mit dem Karikaturenstreit nicht abwegig. Es geht um die Deutungshoheit über die nationale Geschichte und Identität. (FAZ, 12.07.2006, S. 1)

Im angeführten Beleg werden dem deutsch-polnischen Verhältnis Züge eines Kulturkampfes bescheinigt. Diesmal geht es aber nicht um die Gegenüberstellung unterschiedlicher Kulturen, wie das bei der christlichen und islamischen Welt der Fall ist, sondern um die deutsch–polnische Konfrontation mit ihren nationalen Geschichtsdeutungen.

Der Vergleich mit dem Mohammed-Karikaturenstreit, der zum internationalen Konflikt eskalierte, in dem über 140 Menschen ihr Leben verloren haben, ist natürlich zu weit gegriffen, bietet sich aber an, weil sich gerade Anfang Juli 2006 der weltweite Karikaturenstreit beruhigte. Sein Höhepunkt fiel auf den Februar 2006, aber erst am 8./9. Juli 2006 (S. 6) (also in der Zeit der Kartoffelsatire) betitelt die „Süddeutsche Zeitung“ ihren Artikel über den Karikaturenstreit „Vorsichtig auf dem Weg zur Normalität“.

Auch die Süddeutsche Zeitung findet Analogien zwischen den beiden Konflikten:

Die dänischen Mohammed-Karikaturen waren keine gezielte Provokation durch die christliche Welt, sondern eine unüberlegte Verirrung einiger Zeitungsredakteure, in deren Folge man viel über Fortschritt, Toleranz und Aufklärung lernen konnte. Nicht anders verhält sich der Fall des polnischen Präsidenten und seines Bruders, die nun wegen einer Zeitungssatire die Bundesregierung zum Duell fordern. (SZ, Polnische Ersatzhandlung, 12.07.2006, S. 4) In manchen Belegen wird der Vergleich bei den Lesern impliziter ausgedrückt.

  1. Jetzt haben auch Deutschland und Polen ihren Karikaturen-Streit“, genauer ihren Satire-Streit. (SZ,12.07.2006, S. 11)
  2. Die polnische Regierung kündigte eine Ermittlung gegen den Lästerer und eine juristische Ahndung der Verunglimpfung eines ausländischen Staatsoberhauptes als griesgrämige Kartoffel an. Immerhin dröhnte dem Kolumnisten der „taz“ keine Fatwa aus Warschau entgegen. (SZ, 19.07.2006, S. 2)

6. Zusammenfassung

Es kann schon verwundern, dass ein satirischer Artikel, der üblicherweise ein elegantes Instrument ist, um Spannungen zwischen Staaten aufzudecken und Licht in ihre Beziehungen zu bringen, so große Verwüstungen in den nachbarschaftlichen Beziehungen provozierte. Man reagierte so betroffen, weil der taz-Artikel die Thematisierung besonders unangenehmer, kränkender und beleidigender Inhalte für Deutsche und Polen in Gang setzte. Die Satire wurde möglicherweise vor dem stereotypen Hintergrund des deutschen Polenbildes gelesen (Auslegung des Lexems „Schurke“) und vor einem solchen stereotypen Hintergrund hat die polnische Seite eine vermeintlich passende Antwort auf den so verstandenen Artikel präsentiert.

Zum Schluss soll betont werden, dass der im Bereich der politischen Diskursanalyse und interkulturellen Kommunikation präsentierte Beitrag, aufzeigen soll, dass auch in der Politik „Lachen“ und „Ernst“ die Kehrseite ein und derselben Medaille sein können. Die Verflochtenheit beider Phänomene führt oft dazu, dass die für eine Seite witzigen und lustigen Geschehnisse von der anderen Seite gerade als sehr ernst eingestuft werden. Die Auswirkungen lassen sich sogar bis zu den transnationalen diplomatischen Beziehungen hin verfolgen. Kurt Tucholsky (1919) stellt die Frage, ob Satire übertreibe und beantwortet sie folgendermaßen: „Die Satire muss übertreiben und ist in ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten“. Die von Kurt Tucholsky schon eingangs zitierte Antwort auf die Frage „Was darf Satire? Alles!“ wird wie man sieht in der heutigen Gesellschaft noch nicht von  allen geteilt. Wenn man der Aussage von Helmut Qualtinger [1928–1986] einem österreichischen Schriftsteller, Kabarettisten und Schauspieler glaubt, die besagt: „Satire ist die Kunst, einem anderen so auf den Fuß zu treten, dass er es merkt, aber nicht aufschreit“ (vgl. Zitate), dann war der taz-Artikel ein Schuss in den Ofen. 

 

LITERATUR


1.9. Lachen und Ernst

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TRANS
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INST

For quotation purposes:
Jarochna Dabrowska-Burkhardt: Nichts zu Lachen in den deutsch-polnischen Beziehungen? Eine linguistische Fallstudie anhand von Bildern und Texten aus der deutschen und polnischen Presse der Jahre 2006-2007 - In: TRANS. Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften. No. 17/2008. WWW: http://www.inst.at/trans/17Nr/1-9/1-9_dabrowska-burkhardt .htm

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